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«Die AHV hat 27 Millionen Franken verloren»

Beitrag in PERSÖNLICH vom 14. März 2021 => zum Artikel auf www.persoenlich.com


Folge 162: Marc Baumann ist CEO der Swiss Casinos. Auch seine Branche leidet unter Corona.


Von Matthias Ackeret



Herr Baumann, vieles ist mittlerweile wieder geöffnet, die Spielcasinos nicht. Woran liegt das? Casinos gehören zur Branche der Kultur, Unterhaltung und Gastronomie und diese steckt noch immer im Lockdown. Über 90 Prozent unserer rund 650 Mitarbeitenden sind derzeit zu Hause und warten seit Anfang Dezember darauf, wie es weitergeht. Wir betreiben ein ausgeprägtes People-Business, in dem sich Menschen tagtäglich begegnen. Aus diesem Grund haben wir auch beachtlich in wirksame Schutzkonzepte investiert, wie viele andere auch in unserer Branche. Unsere Gäste werden wirksam geschützt. Das Risiko, sich bei uns anzustecken, beurteilen wir als sehr gering.

Dann ist die Entscheidung des Bundesrates falsch… Wir tragen die Entscheidungen des Bundesrates mit und wollen unter allen Umständen einen dritten Lockdown verhindern. Ich bin aber überzeugt, dass gut durchdachte Schutzkonzepte, die streng eingehalten und auch wissenschaftlich evaluiert werden, eine baldige Öffnung ermöglichen. Corona hat uns gezeigt, dass Pandemien uns unerwartet treffen können. Wir haben darauf mit Schliessungen, Lockdowns und anderen Einschränkungen reagiert und deren Wirkung analysiert. Leider können wir künftige Pandemien nicht ausschliessen, sie sind Folge der schnellen weltweiten Mobilität und Globalisierung. Es kann aber nicht sein, dass wir dann jedes Mal ganze Branchen schliessen bzw. die Wirtschaft auf null runterfahren. Wir müssen mittelfristig lernen, Pandemien zu managen. Das heisst, auf der einen Seite Strategien zur Verhinderung zu entwickeln und andererseits Massnahmen vorzubereiten, mit denen wir auch in einer Pandemiesituation einen möglichst hohen Normalitätsgrad aufrechterhalten können.

Was heisst das? Langfristig sollten wir uns Gedanken über unsere Verletzlichkeit und über die tieferen Ursachen dieser Pandemie machen. Diese Frage können wir meines Erachtens nicht an die Politik delegieren. Es ist eine Herausforderung, die uns alle betrifft und für die wir alle im Kleinen oder Grossen unseren Beitrag leisten können.

Zurück zur Jetztzeit: Hat Ihre Branche «falsch» lobbyiert in Bundesbern? «Unsere Branche» sind in diesem Fall nicht die Casinos, sondern die Kultur-, Event- und Gastronomiebranche. Wir gehören zu den Branchen, die am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das wurde in Bern erkannt und auch thematisiert. Ich erlebe in Gesprächen immer ein grosses Verständnis für unsere Branche. Und zudem ist es auch wichtig, dass in einer Pandemie klare Massnahmen vorgegeben werden – und diese nicht durch Lobbyismus mitbestimmt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass man es allen recht machen will und so niemand mehr weiss, welche Massnahmen im Kampf gegen die Pandemie nun eingehalten werden müssen.

«Die AHV hat 2020 also rund 27 Millionen Franken verloren und das wird 2021 noch einmal passieren»

Kann man eigentlich den Schaden, den durch die beiden Lockdowns entstanden ist, beziffern? Unsere Casinos waren in den letzten zwölf Monaten während sechs Monaten geschlossen. Besonders schwer wiegt, dass wir nun auch in den besten Monaten, Dezember bis März, geschlossen waren. Das zeigt sich in den Ergebnissen nun sehr deutlich.

Was heisst das konkret? In der Zeit vom 1. März 2019 bis 1. März 2020 erzielten wir in den Casinos einen Bruttospielertrag (BSE) von 156,5 Millionen Franken. Im gleichen Zeitraum ein Jahr später, also 1. März 2020 bis 1. März 2021, betrug der BSE noch 76,8 Millionen Franken. Das sind 50 Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahr. Für die Mitarbeitenden, die wir nach Hause schicken mussten, erhielten wir zwar Kurzarbeitsentschädigung, damit werden aber viele Kosten nicht gedeckt. So haben unsere vier Casinos «unter dem Strich» rund 12 Millionen Franken gegenüber dem Vorjahr verloren.

Was heisst das für 2021? 2021 werden wir erneut ein negatives Ergebnis hinnehmen müssen. Die Pandemie hat uns schwer getroffen. Es erweist sich jetzt aber als glückliche Strategie, dass der Verwaltungsrat in den letzten Jahren die Bildung von Reserven anordnete. Dadurch kommen wir nicht in die unangenehme Lage, Desinvestitionen vornehmen und Notmassnahmen ergreifen zu müssen.

Ein Teil Ihrer Gewinne wird der AHV zugeführt. Welche Auswirkungen zeigen sich dort? 2019 leistete Swiss Casinos für die vier Casinos rund 72,4 Millionen Franken an die AHV. 2020 werden es noch 45,2 Millionen Franken sein. Die AHV hat 2020 also rund 27 Millionen Franken verloren und das wird 2021 noch einmal passieren. Zusammen mit dem Casinoverband haben wir dem Bundesrat unsere Situation erläutert und aufgezeigt, dass die Schliessung der Casinos in der Schweiz die öffentliche Hand jeden Monat mit 40 bis 50 Millionen Franken belastet (AHV 30 Millionen und Kurzarbeit 10 bis 15 Millionen Franken).

Nun kann man auch online spielen. Hat dies während der Pandemie zugenommen? Mit dem neuen Geldspielgesetz wurden Online-Spiele in der Schweiz erlaubt. Ende 2019 wurden die ersten Online-Casinos eröffnet. Es hat sich gezeigt, dass es gelungen ist, die Spielerinnen und Spieler von den illegalen, ausländischen Plattformen in die Schweiz zurückzuholen, indem wir ein sicheres und transparentes Spiel anbieten. Die Schweizer Online-Casinos leisten ihren Beitrag an die AHV und die Wertschöpfung findet in der Schweiz statt. Im ersten Lockdown, im März 2020, konnten wir eine leichte Zunahme an Spielerinnen und Spielern feststellen. Da wir uns jedoch in einer Aufbauphase befinden, ist es schwierig, die Zunahme der Pandemie zuzuordnen – ich gehe aber davon aus, dass die Schliessung von Casinos, Restaurants und Unterhaltung einen Beitrag zum Wechsel ins Onlinespiel bewirkt haben. Wir konnten glücklicherweise feststellen, dass unsere Gäste nach dem Lockdown im Juni sehr rasch in die Casinos zurückkehrten, trotz strengen und teilweise unangenehmen Schutzmassnahmen. Die digitale Welt ersetzt für viele Menschen die persönliche Begegnung und die Atmosphäre in einem Casino nicht.

Ganz generell gefragt: Hat das «Suchtverhalten» in den letzten Monaten zugenommen? Fragen Sie mal Netflix… Grundsätzlich nicht. Das Onlinespiel ist für suchtgefährdete Menschen zwar gefährlicher, weil es überall und jederzeit verfügbar ist. Dafür haben wir einen viel tieferen Einblick und eine grössere Kontrolle über das Spielverhalten unserer Gäste. Jedes Spiel wird aufgezeichnet und analysiert, automatische Trigger zeigen uns problematisches Spiel an, sodass wir rasch eingreifen und mit dem Gast das Gespräch aufnehmen können. Es ist uns sehr wichtig, dass kein Mensch bei uns über seine Verhältnisse spielt und sich selbst schadet. Ich bin überzeugt, dass wir das auch schaffen.

«Jedes Spiel wird aufgezeichnet und analysiert, automatische Trigger zeigen uns problematisches Spiel an, sodass wir rasch eingreifen und mit dem Gast das Gespräch aufnehmen können»

Mussten die Schweizer Casinos aufgrund der ganzen Coronasituation bereits Personal entlassen? Wir rechnen nicht damit, dass wir rasch wieder das Niveau von 2019 erreichen. Dies und die ganze Coronasituation haben uns veranlasst, das Unternehmen effizienter zu organisieren. Das hat zu veränderten Aufgaben geführt. Es liess sich leider nicht vermeiden, ein paar wenige Kündigungen auszusprechen. Ich bedaure das sehr, denn es entspricht nicht unserer Unternehmenskultur.

Ganz persönlich: Wie haben Sie das vergangene Jahr verbracht? Im ersten Lockdown konnte ich die Situation gut nachvollziehen und hatte grosse Zuversicht, dass wir mit entsprechendem Effort glücklich aus der Krise herauskommen würden. Es schien, als ob wir in eine vorübergehende Krise geraten seien und nun gemeinsam an der Bewältigung arbeiteten. Das brachte uns in der Familie und in der Arbeit zusammen. Die Stimmung war optimistisch und energiereich, wir planten ein erfolgreiches 2021. Als es sich dann abzeichnete, dass wir mit einem zweiten Lockdown rechnen müssen, nahm das vielen Initiativen die Luft weg. Mitarbeitende und Familie zeigten Ermüdungserscheinungen und auch eine sich ausbreitende Lustlosigkeit. Zum Glück haben wir interessante Projekte für die Zukunft, an die wir glauben und mit denen wir uns entwickeln wollen. Sie sind der Motor, der uns motiviert. Als Mensch habe ich es schätzen gelernt, dass nicht jeder Abend besetzt war, dass ich Muse entdeckte, Zeit für Musik, Hobbies und Lesen fand oder für ruhige Abende und Gespräche. Das hat mir sehr gutgetan, mich beruhigt und Gelassenheit gebracht. Diesen Freiraum will ich mir weiterhin offenhalten und weniger hektisch als konzentriert durchs Leben gehen.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Monate? Zwei Dinge haben mich in der Arbeit während des letzten Jahres stark geprägt. Der über Nacht vollzogene technische Wandel und die hohe Akzeptanz von digitalen Sitzungen und einer neuen Arbeitsweise beeindrucken mich masslos. Wir haben es einfach so geschafft, die geografischen Räume zu überwinden und die neuen Hilfsmittel einzusetzen. Sitzungen sind kürzer, effizienter und oft auch gehaltvoller geworden. Auch wenn ich mich sehr auf die persönlichen Besprechungen und Events freue, bin ich begeistert von der Effektivität, die wir dank intensivierter Digitalisierung realisiert haben. Und dieses Rad werden wir nicht zurückdrehen.

Und das zweite prägende Erlebnis? Das verstärkte Gefühl der Zusammengehörigkeit. Wir haben einen grossen, gemeinsamen Gegner, den wir besiegen müssen, nämlich den Virus. Alles hängt daran, alles dreht sich fast nur darum. Wir wollen zurück zur Normalität. Diese Fokussierung auf ein Ziel hat uns zusammengeschweisst und effektiver werden lassen. Die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen und mit dem Verwaltungsrat hat deutlich an Qualität gewonnen.

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