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«Ist es wirklich opportun, über 100 Millionen Franken auszugeben?»



Interview zum geplanten Umbau des Schauspielhauses.

Interview: Matthias Ackeret



Marc Baumann war kaufmännischer Direktor am Schauspielhaus Zürich und später Gesamtleiter am Theater Winterthur. Er findet den Abriss des Pfauensaals unnötig. Herr Baumann, Sie waren selbst kaufmännischer Direktor des Schauspielhauses. Was denken Sie über die Umbaupläne der Zürcher Stadtregierung? Wir sind in sehr schwierigen Zeiten, in der Menschen ihre Stelle verlieren und Unternehmen nicht mehr wissen, ob sie überleben werden. In solchen Zeiten sind die Menschen bereit, zusammenzustehen und gemeinsam das zu tun, was wichtig ist. Dabei gibt es wunderbare Aufgaben und Möglichkeiten fürs Theater. Mein Rat wäre, innezuhalten und aus dem, was uns zur Verfügung steht, das Beste zu machen. Jetzt über 100 Millionen für ein Architekturprunkstück auszugeben, empfinde ich als groteske Masslosigkeit. Besonders wenn wir die jüngere Geschichte bedenken. Das Schauspielhaus war immer wieder in den Schlagzeilen. Spielen Sie auf die Schiffbaukrise an? Ja. Im Sommer 2002 mussten die Zürcher Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Schauspielhaus mit einer jährlichen Subventionserhöhung von 3,88 Millionen Franken und einem Finanzierungsbeitrag von 2,5 Millionen Franken vor dem Konkurs retten. Es war der Abschluss der Krise um den 80 Millionen teuren Schiffbau, der als Stadtpräsident «Estermanns Schiffbruch» bezeichnet wurde («NZZ» vom 8.3.2001). Die Idee des Schiffbaus war bestechend. In den neuen Werkhallen wurden alle Werkstätten zusammengefasst und gleichzeitig drei Probebühnen eingebaut, die genau den Abmessungen der Pfauenbühne entsprachen. So konnten gleichzeitig drei Produktionen auf der Pfauenbühne proben und diese selbst für den Spielplan genutzt werden. Und die Kellerbühne war als Off-Theater im Schiffbau geplant, das anderen Kulturschaffenden zur Verfügung gestellt werden sollte. Die Entwicklung verlief dann aber anders. Was passierte dann? Die verschiedenen Schauspielhaus-Leitungen entdeckten die Freude am grossen Theater und eröffneten neue Bühnen. Heute sind es fünf Bühnen, zwei im Pfauen und drei im Schiffbau. Das bedeutete erhebliche Mehrkosten für Infrastruktur und Personal und führte damit zu unvermeidlichen Subventionserhöhungen von 26 auf 38 Millionen Franken. In den Neunzigerjahren, als es noch zwei Bühnen gab, besuchten bis zu 190 000 Personen das Schauspielhaus, heute, mit fünf Bühnen und einer Subventionserhöhung um 50 Prozent, sind es noch 160 000. Das ist meines Erachtens ein Moment, in dem wir uns fragen dürfen, ob es wirklich opportun ist über 100 Millionen Franken auszugeben. Welchen Stellenwert hat der Pfauen für Sie? Ein bekannter Regisseur hat mir einmal erklärt, was für ihn das Theater ausmache. «Du kannst einen Stuhl auf die Bühne stellen und erklären, das sei Dänemark. Dann einen zweiten Stuhl bringen und diesen England nennen. Und dann beginnst du deine Geschichte. Wenn sie gut ist, wird das Publikum mit dir gehen und das Bühnenbild so akzeptieren, wie es ist.» Der Pfauen hat eine Bühne, die vieles ermöglicht. Und wenn es mal nicht geht, darf die Fantasie der Zuschauerinnen und Zuschauer ruhig gefordert werden, sie machen mit. Am Schauspielhaus inszenieren Top-Regisseurinnen und -Regisseure. Ich bin sicher, dass sie mit dieser Herausforderung umgehen können. Nun gibt es praktisch alle zwanzig Jahre Bestrebungen, den Pfauensaal abzureissen. Woran liegt das? Das weiss ich nicht. Menschen lieben wohl Architektur und Neugestaltung. Nun gibt es bei den Befürwortern Kritik an der Beschallung und der Bestuhlung des Raums. Kann man dies verändern, ohne die DNA des Saals zu zerstören? Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, kann mir aber vorstellen, dass es möglich ist, die unbequemen Stühle auszuwechseln, auch wenn es Plätze kostet. Und die Beschallung kann sicher ohne grosse Veränderung verbessert werden. Letzte Frage. Was wünschen Sie dem Schauspielhaus? Das Schauspielhaus gehört zu Zürich – gerade wegen seiner Ecken und Kanten. Die Teams am Schauspielhaus haben sich schon immer an der Stadt gerieben und am Lack gekratzt. Das verursachte Unruhe, Aufregung und auch mal skandalisierte Bürgerinnen und Bürger. Es hat uns gutgetan. Ich wünsche dem Schauspielhaus, dass es bald wieder öffnen und diese Tradition weiterführen kann.

Interview: Matthias Ackeret (www.persoenlich.com)


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